Wem Gott nicht aufgibt, den fressen die Schweine nicht.

Russisches Volkssprichwort

Nichts lässt einen so erwachsen werden wie Verrat.

Boris Strugazki

TEIL I

KAPITEL 1

»Ramseeees!!!« schrie mein Handy. »Ramseees!!! Scheiße! Alles klaaar, Maaann?!«

Es war Wowa. Er schreit sich ständig die Seele aus dem Leib. Und fluchte schrecklich. Es war sinnlos, beide Gewohnheiten zu bekämpfen. Als ich die Armee verließ, hatte ich diese schlechte Angewohnheit fast überwunden.

»Scheiße, Wowa! Mein Ohr wird von deinem Geschrei abfallen!« Da ich den Grund des Anrufs kannte, lächelte ich und nahm das Telefon vom Ohr. »Eh, du Tölpel!«

»Scheiße, Ramses, entschuldige!« Er senkte seine Stimme und kicherte peinlich berührt. »Ramses, na jaaa… also… wir kommen heute in den „Himmel“, oder!?«

Wowka bringt absichtlich Wörter durcheinander und dehnt die Vokale, indem er „alles klaaar“ und „na jaaa“ sagt. Es ist lustig, er macht immer komische Faxen.

»Aber natürlich, wie kann man nur so fragen, Wladimir?« Ich spielte in einem ernsten Ton mit. »Die üblichen zehn Uhr beim Hotel.«

»Aaabgemacht!! Geeeil!! Na jaaa! Mach’s guuut!« dehnte er die Vokale noch mehr aus, und wir verabschiedeten uns bis zum Abend.

Es war der 29. April 2005, Freitag. Aber das hat nichts zu sagen. Wowka und ich waren echte Partyhasen, wir hingen fünf Tage die Woche in Clubs herum. Es ist einfach so, und das ist immer so – irgendwann im Leben führt das Schicksal die richtigen Menschen zusammen. Wowka und ich waren aus zwei Gründen die richtigen Menschen: Arbeit und Junggesellenleben. Ich war nicht verheiratet, und Wowka war kürzlich geschieden worden. Seine Ex-Frau, ein sehr interessantes Mädchen, hatte ich nur einmal gesehen – vor mehr als drei Jahren traf ich sie zufällig an einem außerstädtischen Strand. Ich fuhr in meinem Auto und nahm das Paar mit ins Stadtzentrum. Danach gab Wowka, der offensichtlich mit einem Eifersuchtsanfall zu kämpfen hatte, zu, dass seine Frau mich süß genannt hatte. Die Situation war bloß amüsant, denn ich hatte nicht die Angewohnheit, verheiratete Frauen zu vergaffen. Untersetzt, etwa 1,70 m groß, stämmig, mit Haaren überall, sogar auf dem Rücken, mit einem Bauchansatz, bulldoggenartigen Kiefer, mit kalten, grauen, hartnäckigen und tiefliegenden raubgierigen Augen – wie alle unsicheren Männer im Umgang mit Frauen verhielt sich Wowka andersrum – er fingierte immer Entschlossenheit und tat so, als sei er ein Macho. Obwohl, was für ein Macho war er denn!? Und er sprach sehr laut. Mein Vater sagte einmal, das sei eine ländliche Angewohnheit. Jede emotionale Geschichte, die Wowka erzählte, verwandelte sich innerhalb einer Minute in ein mit Schimpfwörtern gespicktes Geschrei. Als Folge davon begannen die Leute um uns herum uns anzustarren, ich fühlte mich unbehaglich, ich wurde rot und stellte meinen Freund in den Senkel. Wowka würde sich ein paar Minuten lang beruhigen, aber die Natur würde ihren Lauf nehmen, und es würde sich mit endloser Regelmäßigkeit wiederholen. Im Allgemeinen gibt es nur sehr wenige Menschen, die keine unflätigen Worte benutzen. Solchen Menschen sollte ein Denkmal gesetzt werden. Vor allem mein Vater – er hat nie geflucht. Aber er war mehr als ein Vierteljahrhundert lang in der Armee! Na also.

Ich traf Wowka vor etwa drei Jahren nach der Armee wieder. Wir dienten in verschiedenen Einheiten derselben Dienststelle und kannten uns nicht persönlich. Aber dann ging ich eines Tages mit meinem Vater zu einem der Großhandelslager. Ich ging in das Direktorzimmer, und dort war ein bekanntes Gesicht. Wowka hat mich auch sofort erkannt. Wir haben uns sehr gefreut und sind auf der Straße ins Gespräch gekommen. Wie es der Zufall wollte, war Wowka der stellvertretende kaufmännische Leiter des Geschäftsbereichs Haushaltschemikalien des Großhändlers „Pelikan“. Sein Chef, Andrej Petrowitsch, ein großer Mann mit einem vom Alkoholkonsum geröteten Gesicht und wässrigen Augen, dem alles gleichgültig war, deutete über Wowka fünf Prozent mehr an, wenn wir unsere Waren bei „Pelikan“ verkaufen wollten. Es war ein Angebot ohne Wenn und Aber – mein Vater und ich waren uns sofort einig. Alles wurde schnell erledigt, und am nächsten Tag brachten wir die erste Warensendung zum Lager.

Und dann ließ sich Wowka von seiner Frau scheiden. Ehrlich gesagt, sahen sie nie wie ein Paar aus. Wowka lernte seine zukünftige Frau bei der Armee in einer Disco kennen, sie heirateten wie alle anderen und ließen sich wie alle anderen scheiden, aber ohne Kinder. Wowka mietete eine Einzimmerwohnung in der Nähe der Arbeit und gab sich den Freuden des Junggesellenlebens hin. Er war ein schrecklicher Schürzenjäger, und ein schlüpfriger noch dazu. Nämlich, wenn sich die Wahrnehmung von Frauen in vulgärem Gerede und abgeschmackte Späße niederschlägt. Wowka hegte einen Groll. Vereinfacht gesagt, bestand der Sinn seines Lebens aus vier Dingen: Geld, Frauen, Jagd und Tarnung. Es war genau in dieser Reihenfolge. An seinen Arbeitstagen eilte Wowka mit zerzaustem Haar herum und dachte darüber nach, wie er viel Geld verdienen könnte. Und klauen bedeutete auch „Geld verdienen“. Hierher hat Wowka vor allem seine ganze gewaltige Energie gesteckt. Gleichzeitig hatte er ein Auge auf alle Frauen, die ihm gefielen, und gab ihnen Zeichen des Begehrens. Die Jagd war Wowkas dritte Leidenschaft, über die er stundenlang reden konnte. Jeden Urlaub fuhr Wowka zu seinen Eltern nach Pskow und schlenderte mit seinem Gewehr über die Felder und durch die Wälder herum, wovon er noch monatelang mit Begeisterung erzählte. Seine pathologische Leidenschaft für die Tarnung kam von seiner Liebe zur Jagd. Wowka fand alles schön, was das Muster der Tarnung trug. Wenn er solche Kleider sah, schnurrte er vor Freude und kaufte es. Wowkas Kleiderschrank war immer voll mit getarnten Lumpen, aber er trug sie im Alltag kaum. Wowka kleidete sich geschmacklos, ein wenig schlampig und schlicht; er ging breit und schwerfällig, wippte von einem Fuß auf den anderen und trat die Schuhe mit den Innenseiten durch.

 

Ich erreichte den Treffpunkt in einem alten, klapprigen Bus. Ich sah Wowka durch das Glas, der auf dem Bürgersteig klumpfüßig auf und ab ging und sich am Hinterkopf kratzte.

»Was geht ab?« rief er, und mit aller Kraft legte er alle fünf Finger in meine Handfläche und drückte sie fest. Seine Hände waren abgearbeitet, die Finger kurz und steif. Deshalb breitet Wowka sie vor dem Händeschütteln immer aus, so dass seine Hand wie eine Krabbe aussieht.

»Hallo, du Blödser! Es läuft?!« erwiderte ich gröblich, so wie wir zu sprechen pflegen.

»Verdammte Scheiße, ich hab den ganzen Tag auf der Arbeit darüber nachgedacht, wie ich Kohle verdienen kann!« Wowka zerzauste sein Haar. »Ich hab mir das Hirn zermartert! Keine Scheiß-Ahnung!!«

Ich lachte, und wir schlenderten über die Straße bei grüner Ampel. Es war ein schöner warmer Abend, es war bereits dunkel, und die jungen Leute strömten in Scharen in die Nachtclubs.

»Oh, da ist Edik«, winkte ich in Richtung der „Droschke“ auf der anderen Straßenseite.

»Nun, das ist ja krass! Wir werden reitend auf Edik betrunken nach Hause gehen!« Wowka lachte laut, tat so, als sei er betrunken, taumelte und schluckte ein paar Mal wegen der Glaubwürdigkeit.

Edik war ein junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren, ein kleiner, hagerer Brünetter, Student im letzten Studienjahr am Institut. Der attraktive Mann hätte besser ausgesehen, wenn er nicht geraucht hätte, nicht ständig zusammengekrümmt hinter dem Lenkrad gesessen hätte und Sport getrieben hätte. Edik hatte einen weißen VAZ-2107. Autos waren seine Leidenschaft. Er versuchte, sein zu verbessern, und tüftelte ständig daran herum. Die Rücklichter des „Siebens“, zwei rote Kreise, leuchteten wie Raketendüsen durch rechteckige Plastik. Alles, was in den Innenraum leuchten konnte, strahlte das gleiche Rot in gedämpfter Form aus. Die Akustik stand dem in nichts nach – wenn Edik „Rammstein“ machte an, dröhnte der Sound hundert Meter weit und das Auto wurde zur roten Schallhölle.

Ediks zweite Leidenschaft galt den Frauen. Der schmächtige kleine Kerl war ein eifriger Weiberheld. Ediks Augen verraten ihn – er wurde sofort zotig, wenn er ein Mädchen oder eine Frau sah. Edik hatte eine schwierige Zeit mit seiner Freundin. Sie hatten ständig Streit und versöhnten sich. Ich hatte sie schon ein paar Mal gesehen – dünn wie ein Stock, mit einer krummen Figur, das Mädchen war hoffnungslos dumm und hässlich im Gesicht. Was hat er in ihr gesehen? Es ist ein Rätsel. Offensichtlich war das der Grund, warum Edik seine Beziehung zu ihr dadurch kompensieren wollte, dass er mit anderen Frauen vögelte. Ich habe ihn vor etwa einem Jahr kennengelernt. Wie immer verließ ich den Club nachts, schwer betrunken, und machte einen Schlenker in Richtung Hotel, wo die „Droschke“ immer geparkt waren. Ich habe alles auf Heller und Pfennig im Club versoffen, wovor ich den ersten Fuhrmann in gutem Glauben gewarnt habe. Ich sagte ihm, dass ich es ihm auf der Stelle zurückzahlen würde, indem ich das Geld von zu Hause mitbringe. Auf diese Weise wurde die „Droschke“ oft abgezockt, und von allen Fahrern war nur Edik bereit, mich mitzunehmen. Seitdem habe ich keine Probleme mehr mit Taxis nach dem Club gehabt. Ich rief Edik an, er würde mich von überall und in jedem Zustand abholen. Manchmal hat er mich auf Kredit genommen, aber ich habe sein Vertrauen nicht missbraucht. Mit der Ankunft von Wowka wurde Ediks Arbeit noch umfangreicher: Statt einer betrunkenen Partyhase fuhr er nun zwei Personen nach Hause.

Der Club war zwei Blocks entfernt.

»Na und, wie läuft die Arbeit? Der verdammte Vertrieb geht durch die Decke, oder?« rief Wowka aufgeregt.

»Ja, im Moment ist es verdammt geil – es ist Saison, der Umsatz ist gut«, nickte ich.

»Ooh, Bonze!!!« Wowka brüllte mit einem Anflug von Neid, packte mit seinen kräftigen Fingern meinen rechten Ellbogen und schaute mir von unten gierig ins Gesicht.

Ich konnte Wowkas Neid unter meiner Haut spüren. Er hat daraus eine Art Witz gemacht. Aber Wowka war kein guter Schauspieler. Ich war nicht beleidigt über das Gefühl meines Freundes; es war nicht der Neid eines talentlosen Faulpelzes, sondern eines Mannes, der aktiv war. Es war, als würde der Hengst auf der Koppel, wenn er die wilden Pferde vorbeilaufen sah, wütend um die Koppel kreisen, weil er unbedingt auf der anderen Seite sein wollte. In den letzten zwei Jahren ist unser Geschäft vor Wowkas Augen langsam aber sicher gewachsen. Und mein Vater und ich gehörten zu der Kategorie der „freien“ Menschen, die für sich selbst arbeiten. Wowka hingegen war ein Lohnempfänger. Das deprimierte ihn und machte ihn oft eifersüchtig auf die „Bonzen“.

»Was für Bonzen sind wir? Schluss damit!« Ich zog meinen Ellbogen aus dem Griff meines Freundes.

»Bonzen, Bonzen, verdammte Scheiße!!! Ich weiß es!« grinste er und lachte. »Hee, hee, hee.«

»Ich würde dich gerne sehen, du Bonze, wie du den ganzen Tag mit deinem Vater diese blöden Kisten schleppen… Im letzten Jahr war es ein Alptraum, wir kommen jeden Tag erst um 20 Uhr nach Hause! Und als der Frühling begann, war es ein Wahnsinn, diese Kisten von morgens bis abends ein- und auszuladen! Es gibt eine Menge Aufträge, wir sind voll ausgelastet… Gut, dass wir den Einzelhandel los sind! Sonst würden wir auch an den Wochenenden arbeiten… Obwohl wir in letzter Zeit viele Samstagslieferungen gemacht haben… Es ist ein beschissener Trend… Ich muss es beenden, sonst gefällt es mir!« Ich lachte. »Wir sind doch keine Bonzen, sondern einfache Arbeiter! Bonzen sitzen in ihren Büros und mein Vater und ich schuften!«

»Oooh!!! Schon gut, schon gut, ich scherze nur, Ramses!« Wowka wich zurück, pfiff und machte dem vorbeigehenden Mädchen einladende Augen.

Wir kamen an eine Ampel, es gab keine Autos, also gingen wir, ohne anzuhalten, weiter. Nach ein paar Minuten kamen das Kino auf der linken Seite und die Ampel auf der rechten Seite in Sicht. Wir warteten auf das grüne Signal und hielten an.

»Was gibt es Neues bei dir auf der Arbeit?« fragte ich.

»Was gibt es da schon Neues, du warst doch erst gestern im „Pelikan“, verdammt noch mal!« Wowka begann, sich mit der Hand über das Gesicht zu streichen, als ob er im Halbschlaf war. »Was kann da sein?! Dasselbe in Grün.«

Die Ampel wurde grün und wir gingen über die Straße.

»Ah, ne!« Wowka blieb mitten auf der Straße stehen. »Papa hat sich einen neuen Jeep gekauft!«

„Papa“ war der Besitzer des „Pelikans“, ein wohlhabender Mann in den Fünfzigern, schlank, mit dem Aussehen eines pensionierten Militärs.

»Na komm schon, was stehst du hier herum?« Ich stieß Wowka unter seinem Ellbogen an, lachte leise und schnaubte.

Wowka wurde traurig, schlenderte weiter und rieb sich erneut das Gesicht. Er wird immer traurig, wenn jemand seinen kleinen Traum wahr macht. Wowka mag Jeeps.

»Normale Maschine?«

„Jo!“ Er nickte und lächelte glücklich. Wowkas „Jo“ anstelle von „Ja“ bedeutete den Punkt höchster Zustimmung zu allem. „Jo!“ – Wowka hat seinen Standpunkt klargemacht, der ist unumstößlich und absolut. Es machte mir nichts aus, denn in seinen Träumen hatte sich Wowka bereits am Steuer eines solchen „Panzerwagens“ gesehen, wie er durch die Täler und Felder galoppierte und alle möglichen Tiere erlegte.

Nachdem wir die Straße überquert hatten, bogen wir links ab, etwa dreißig Meter vom Club entfernt.

»Wie viel hat er dafür hingeblättert?« fragte ich.

»Zwei Mio!«

»Hoho! Alle Achtung!«

»Abgefuckt!« Wowka zerzauste sein Haar. »So einen will ich jetzt auch haben!«

»Kann ich mir vorstellen!« lachte ich und klopfte meinem Freund auf den Rücken.

»Oh-ho-ho!« rief Wowka aus, als er die Menschenmenge vor sich sah.

„Klarer Himmel“ war ein beliebter Club, und am Freitagabend war es üblich, dass vor dem Eingang ein Tumult herrschte. Draußen, mit dem Rücken zur Eingangstür, standen zwei Sicherheitsbeamte in schwarzen Anzügen. Ein Schwarm von zwanzig Männern drängte sich vor ihnen, ihre betrunkenen Stimmen dröhnten, die Rücken drückten gegen die Front, die Wachen wiederum drängten sie zurück. Das könnte bis Mitternacht so weitergehen. Wir näherten uns, und ich schaute durch die Seitenscheibe in den Club hinein. Auf der Treppe stand ein bekannter Wachmann. Unsere Blicke trafen sich, und ich deutete mit dem Finger auf den Eingang. Der Wachmann nickte und schritt zur Tür.

»Lasst die beiden durch!« sagte er durch den Spalt hervor und konnte die Tür gerade noch mit der Schulter ein paar Zentimeter öffnen. Die Wachen reagierten und drängten die Menge von der Tür weg, und Wowka und ich schlüpften schnell hinter ihrem Rücken hinein. Die Geräusche von Fröhlichkeit und Musik drangen aus dem Club nach draußen, und die Menge hinter uns stieß sofort ein verärgertes Gebrüll aus. Zu spät, die Tür schlug heftig hinter unserem Rücken zu und nahm noch einmal den Ansturm der Menge auf.

Clubs sind ein separates Thema. Als ich achtundzwanzig war, war ich nach einigen langjährigen, aber erfolglosen Beziehungen zwei Jahre lang eine Partyhase gewesen. Die negativen Beziehungserfahrungen hatten mein Verlangen nach neuen für eine Weile gedämpft, und ich habe auf den Pudding gehauen. Ich musste zugeben, dass „der Pudding“ sehr gut aussah. Wenn man mich fragen würde, ob ich diese Jahre noch einmal so leben würde, wäre die Antwort ein klares Ja. Nachdem ich fast alle Vergnügungsstätten der Stadt abgeklappert hatte, blieb ich in „Klarer Himmel“ hängen. Der Club zog mich seltsamerweise zu ähnlichen jungen Leuten hin, die ziellos hingen herum und das Nachtleben satt hatten. „Klarer Himmel“ war nicht wirklich besonders. Aber das ganze Jahr über hatte das Lokal doppelt so viele Kunden wie die anderen Clubs der Stadt. Selbst in der „toten Saison“ des Hochsommers, wenn die Stadt auf dem Weg zu den südlichen Badeorten war und nur wenige Menschen ihre Zeit in den anderen Lokalen verbrachten, war „Klarer Himmel“ zur Hälfte gefüllt. Ab September, sobald die Bevölkerung in die Stadt zurückkehrte, wurde die Einrichtung jedoch belagert. Das lag daran, dass sie sich im Keller befand. Die Straßen des historischen Stadtzentrums bestanden ausschließlich aus zwei-, drei- und vierstöckigen Häusern. An der Ecke eines dieser Häuser befand sich der Eingang zu „Klarer Himmel“. Eine schwere hölzerne Eingangstür hing an der Vorderseite der Ecke; die Seite, die wie ein Schaufenster aussah, blickte auf eine Gasse mit hohen Fenstern; über der Schaufensterauslage hob sich ein helles Schild, „Klarer Himmel“, vor einem beleuchteten dunkelblauen Hintergrund in einem goldenen Sternenhimmel ab. Die Gasse ging in eine rechteckige Asphaltfläche über, die auf allen Seiten von Häusern umgeben war. In der hinteren Ecke gab es eine Lücke zwischen den Häusern, in die viele betrunkene Leute pissten. Aus der Gasse drang ständig ein schwacher Gestank von Urin.

Direkt vor der Tür befand sich eine steile, gerade Treppe mit zwanzig Stufen. Sie endete in einem beengten Raum von zwei mal zwei Metern. Rechts befand sich die Tür der Garderobe, einer kleinen, engen Zelle, aus deren Fenster immer das trübe Gesicht der Garderobenfrau hervorlugte, das sie mit der Faust abstützte. Es gab auch eine Kassiererin hinter dem Tresen. Nachdem die Besucher ihren Eintritt bezahlt hatten, gingen sie nach links durch einen Torbogen in den Club. Er bestand aus drei Räumen: der erste war der Hauptraum auf der linken Seite, etwa vierzig Meter im Quadrat und einen halben Meter unter dem Rest des Clubs; der zweite war ein quadratischer Raum auf der rechten Seite, etwa dreißig Meter im Quadrat, ebenfalls voll mit Tischen; der dritte und am weitesten entfernte war die Tanzfläche, geradeaus. Der zentrale Weg zwischen den ersten Räumen führte zu einem großen Tresen und dann parallel dazu zu einer Grotte, die buchstäblich eine Höhle war, als wäre sie in einer festen Masse aus rotem Backstein ausgehöhlt. Die Grotte war ein kleiner quadratischer Raum von etwa fünfzehn Metern Kantenlänge, mit einer Säule in der Mitte. Die Reihe der Barhocker führte entlang der rechten Wand der Grotte mit zwei Metern Nischen weiter – ein Kellnertresen und am Ende ein kleiner Bartresen. Die linke Wand der Grotte war massiv und endete in der hinteren Ecke mit einem Bogen, hinter dem sich die Tanzfläche befand, ein rechteckiger, zweistöckiger Raum von etwa sechzig Metern Größe. Die nahe Hälfte bestand aus einem zwei Meter langen Tresen an der linken Wand und einem Dutzend Tischen in den Ecken, so dass der mittlere Teil frei blieb. Die hintere Hälfte war wie der erste Saal um einen halben Meter abgesenkt und mit der vorderen Hälfte durch eine dreistufige Holztreppe mit Handläufen und dicken Säulen auf beiden Seiten der Treppe verbunden. Diese Hälfte wurde zum Tanzen genutzt. Es gab zwei Mini-Szenen, die einen halben Meter hoch waren und in einem Kreis von einem halben Meter Länge aus den Wänden ragten. Der erste kam von der rechten Wand in der Mitte, der zweite von der linken Ecke. Dahinter, in dieser Ecke, befand sich eine Tür mit einem Fenster, genau wie bei der Garderobenfrau. Die Tür führte zu einer engen, fünf Quadratmeter großen DJ-Kabine. Die rechte und mittlere Wand der Tanzfläche war von der Decke bis zum Boden verspiegelt.

Die Toiletten im „Klarer Himmel“ befanden sich oberhalb des Kellerclubs, im Erdgeschoss des Gebäudes. Vom Mittelgang vor der großen Bar aus führte die Treppe rechts steil nach oben und war für betrunkene Gäste eine Herausforderung: So mancher verdrehte sich dort die Beine und kippte um. Die Treppe endete in einem winzigen Quadrat, von dem aus zwei Türen nach rechts und nach links führten, eine zur Damentoilette und die andere zur Herrentoilette.

Die Besucher wurden in zwei Kategorien eingeteilt: diejenigen, die an den Tischen in den Sälen saßen, und diejenigen, die einfach nur kamen, um zu trinken, zu tanzen und sich an den Bars und an den Wänden der Grotte rumzuhängen. Als zwei Stunden vor Mitternacht die Musik auf der Tanzfläche lautstark einsetzte, füllte sich das Gedränge an den Tischen, in der Grotte und auf der Tanzfläche mit denen, die an ihren Tischen zu lange gesessen hatten. Die große Bar bespickte sich augenblicklich. Der schmale Gang zur Grotte und die Grotte selbst waren überfüllt mit Menschen. Um auf die Tanzfläche zu gelangen, musste man durch das Gedränge der lebenden Körper kriechen und sich hartnäckig in die richtige Richtung bewegen. Die Dichte der lebenden Massen wurde durch eine Wolke von Tabakrauch und das laute Summen von Gesprächen ergänzt. Der Rauch füllte die Grotte vollständig aus, verwandelte die Luft in einen durchsichtigen, beißenden Nebel und verbreitete sich allmählich im ganzen Club. Währenddessen wuselten die Kellnerinnen nervös mit ihren vollen Tabletts herum. Sie trafen sich an dem Tresen, um ihr schmutziges Geschirr darauf abzuladen und eine weitere Bestellung auf dem Tablett aufzunehmen. Die Alkoholförderung begann an der großen Bar, setzte sich an der kleinen Bar und auf der Tanzfläche mit Musik fort – Wodka, seltener Tequila, noch seltener Whisky, sehr oft Bier, oft „Schraubendreher“ und andere beliebte Cocktails. 

Tagsüber diente das Lokal als Café, wenn man die Musik aufdrehte, wurde es zu einem Club. Um Mitternacht war der Kundenandrang am größten, und der Laden sah aus wie ein Fass voller Fisch, das mit einer Sauce aus Alkohol und Tabakrauch gewürzt war. Der ideale Zeitpunkt, um „Klarer Himmel“ zu betreten, ist eine Stunde vor Mitternacht, wenn die Schlange für Alkohol noch nicht übermäßig lang ist, die beschwipsten Besucher noch nicht betrunken sind und der Höhepunkt des Vergnügens noch bevorsteht.

»Tach!« Ich klatschte herzlich in die ausgestreckte Hand des Wachmanns.

»Oooh!!!« Wowka brüllte und mit einem Schwung legte seine „Krabbe“ in dieselbe Hand.

»Gibt’s hier Mädchen?« Ich nickte abwärts.

»Jede Menge!« Der Wachmann fuhr sich mit dem Finger über den Hals.

»Nun, wenn das der Fall ist, geht es los!« Ich lächelte und stieg hinunter.

»Oooh!!!« Ein zustimmendes Knurren von Wowka ertönte hinter mir.

Wir passierten den Torbogen und machten uns in der heißen Luft von Körpern und Musik auf den Weg zu einem großen Bartresen. Eine kleine Kellnerin mit einem Tablett über dem Kopf, das mit schmutzigem Geschirr beladen war, kam schnell auf uns zu. Ich schaute sie an: »Nein, nicht die, die ich mag.«

Die große Bar war bereits voll von Trinkern. Ich griff über ihre Köpfe hinweg und begrüßte den Barkeeper. Auf Zehenspitzen stehend, wiederholte Wowka das Ritual.

»Ist da jemand?« Ich zeigte auf den kleinen Tresen.

Der Barkeeper nickte zustimmend.

»Nun, dann gehen wir mal etwas… Alkoholisches bestellen…«

»Ja, lasst uns einen „Schraubendreher“ intus haben!!!« rief Wowka hinter mir.

Hier kam ihm seine Angewohnheit zu schreien zugute – die Musik erschütterte die Wände des Lokals, dazu gesellten sich das Summen der Gespräche, das Klappern von Geschirr und das fast unaufhörliche Klingeln des Telefons auf dem großen Tresen.

Nachdem wir die Hälfte der Stammgäste des Clubs begrüßt hatten, zwängten wir uns durch die Grotte zum zweiten Barkeeper. Ich winkte zur Begrüßung und nahm einen Platz in der bereits langen Schlange ein, und zwar an der günstigsten Stelle in der Grotte, im Torbogen zwischen der mittleren Säule und der rechten Wand. Wowka fing an, seinen Kopf lebhaft zu drehen und seine Augen auf alle Mädchen zu richten, die in der Nähe erschienen. Ich nahm eine Packung „Lucky Strike“ heraus. Wowka steckte sofort seine Finger hinein und zog eine Zigarette für sich heraus. Wir haben geraucht.

Ich habe erst spät mit dem Rauchen angefangen, im Alter von 24 Jahren. Ich könnte gar nicht angefangen haben, aber ich war dumm. Normalerweise habe ich wenig geraucht, fünf oder sechs Zigaretten pro Tag. In den Clubs habe ich immer mehr geraucht, bis zu einer Packung pro Nacht. Am nächsten Morgen hatte ich natürlich Kopfschmerzen, und ich hatte den ganzen Tag über eine anhaltende Abneigung gegen Zigaretten. Aber am Abend war es wieder vorbei, und alles begann von vorne.

»Was gibt’s sonst noch Neues bei der Arbeit!?« fragte ich Wowka laut, lehnte mich dicht an sein Ohr und strapazierte meine Stimmbänder, um das Dröhnen des Clubs zu übertönen.

»Was kann es da schon Neues geben!« Wowka wies mich ab und zappelte im Torbogen herum. »Petrowitsch geht mir ganz schon auf den Sack, scharrt Geld! Ich muss ihn dem Papa verpfeifen, damit er ihn aus dem verdammten Lager rausschmeißt!«

»Was meinst du damit, scharrt Geld? Er teilt es nicht mit dir? Ich dachte, ihr beide regelt die Geschäfte…«

»Ne, er hat dort seine eigenen Kunden! Und er ist auch im Geschäft mit Duftwasser, das er über seine Kumpels überall verkauft. Und er bringt es uns auch hier, und dann nimmt er die Kohle und steckt es sich in die Tasche…«

»Hast du überhaupt etwas?« Ich habe eine unangenehm direkte Frage gestellt.

»Ein paar Gauner wie ihr… Hee-hee…«, Wowka fing an, mich mit einem gierigen Augenzwinkern anzustarren, »zollt mir Tribut!«

Ich schlug ihm mit der Hand auf die Schulter, und Wowka lachte noch lauter, zufrieden mit dem, was er gesagt hatte.

»Nun, wenn wir an der Reihe sind und unseren „Schraubendreher“ bekommen!!!?« rief er plötzlich ungeduldig in Richtung des Barkeepers, auf Zehenspitzen stehend.

»Bald…«, lächelte er, drehte ein brennendes Sambuca-Glas und löschte die Flammen mit einem Ruck.

Der Kerl, ein Kunde, trank ein halbes Glas Sambuca in einem Zug, während das Mädchen den Rest trank. Der Kerl lehnte sich gegen den Tresen und sog die Dämpfe unter dem Glas mit einem Strohhalm ein. Die Schlange beobachtete das Geschehen mit Interesse. Der Kerl richtete sich auf, legte seine Arme um das Mädchen und zog sie in die Dunkelheit der Tanzfläche, mit rotem Gesicht und hervorquellenden Augen.

»Das Übliche?« schaute uns der Barkeeper an.

»Ja, das Übliche! Und mehr Wodka, verdammt!!!« rief Wowka, ging zur Bar und schüttelte dem Barkeeper die Hand. Er wandte sich ab und machte unsere Bestellung. In einer Minute standen Halbliter-Plastikgläser mit Cocktails vor uns.

»Zwei doppelte „Schraubendreher“…«, der Barkeeper zeigte auf sie, steckte lässig die Hände in die Hosentaschen und starrte uns fragend an. Nachdem wir bezahlt hatten, nahmen wir unser Gesöff und drängten uns zurück in den Torbogen. Die Schlange hinter uns schloss sich sofort um den Tresen.

Wir haben immer „Schraubendreher“ bestellt. An den Getränken konnte man leicht erkennen, wie viel Geld in den Taschen der Besucher war, es sei denn, sie tranken den ganzen Abend etwas Teures aus demselben Glas. Wer kein Geld hatte, trank Bier, wer Geld hatte, hielt ein Glas Whisky oder schlimmstenfalls einen Cognac in der Hand. Andere, die zu beweisen versuchten, dass sie Geld hatten, obwohl ihr Gesicht eindeutig etwas anderes verriet, streuten anderen Sand in die Augen, indem sie sofort flaschenweise Wodka bestellten. Ich habe nicht versucht, irgendetwas zu beweisen, das Geld war damals knapp; ich habe „Schraubendreher“ billig und mit der Gewissheit eines gemütlichen Rausches getrunken. Wir haben bei Wowka Cognac oder Whisky getrunken, er hatte immer so etwas im Kühlschrank. Mit der Zeit reichte mir „Schraubendreher“ nicht mehr aus, also ging ich zu einer doppelten Dosis über und lockte auch Wowka an. Der doppelte „Schraubendreher“ enthält hundert Gramm Wodka und vierhundert Säfte, und die Halbliter hielten wesentlich länger. Ich wusste genau, wann ich mich betrinken würde und wann ich genug hatte. Es war ideal, vier, maximal fünf doppelte „Schraubendreher“ an einem Abend zu trinken, um nicht zu betrunken zu werden und diesen Zustand der Euphorie zu erreichen: wenn man sich nach einem Arbeitstag entspannt, alles perfekt sieht und wahrnimmt, die Kommunikation auf die beste Art und Weise erfolgt, ein Lächeln nie das Gesicht verlässt, jeder wie „Brüder“, „Schwestern“, „Freunde“ und „Freundinnen“ erscheint und die ganze Welt ausschließlich in Regenbogenfarben gesehen wird. Wenn ich es übertriebe, würde sich mein Verhalten zurückentwickeln: Ich würde mich zurückziehen, trübsinnig und aggressiv werden, meine Zunge und meine Füße würden undeutlich werden, ich würde depressiv werden und ich würde dumme Gedanken in meinem Kopf haben. Außerdem konnte ich mich nicht mit einem starken Vestibularapparat rühmen. Wenn es mehr als fünf doppelte „Schraubendreher“ an einem Abend gab, musste ich fast immer kotzen. Das Rauchen verschlimmerte die Auswirkungen des Alkohols nur noch. Und ich habe in Clubs immer eine Zigarette nach der anderen geraucht.

Ich schlürfte den „Schraubendreher“ an dem roten Traubensaft durch den Strohhalm – schaurig bitter! Der Barkeeper hat wirklich nicht mit dem Wodka gespart. Wowka und ich standen im Torbogen, rauchten und berauschten uns am Alkohol. In den Clubs gab es nichts zu tun, wenn man nüchtern war.

»Mensch! Wenn Petrowitsch vom Papa rausgeschmissen wird, dann wirst du ja seinen Platz einnehmen!?«

»Klarer Scheiß!!!« Wowka sah mich an, als sei ich ein Idiot. »Warum zum Teufel sollte ich ihn dann kaputt machen?! Damit ein Affe seinen Platz einnehmen kann?!«

Wowka nahm einen herzhaften Schluck aus seinem Cocktail und einen Zug von seiner Zigarette.

»Ich werde diesen beschissenen Hirsch anscheißen!« Er sagte weiter, als ob er verletzt sei. »Hast du jemals das Weib gesehen, das mit einem großen blauen „Peugeot“ zu Papa kommt?«

Ich habe darüber nachgedacht. Ich erinnerte mich. Eine Figur wie Sophia Loren, ein Aussehen wie Gina Lollobrigida. Eine Frau wie sie würde selbst einem Blinden auffallen – eine beeindruckende Brünette in einem voll Balzac-Alter, mit einer markanten Form und der Fähigkeit, sie schön zu verpacken und zu präsentieren. Eine gepflegte und stilvolle Dame mit einer Schildkröten-Sonnenbrille. Ich habe sie oft bei „Pelikan“ gesehen. Sie sah aus wie eine rassige Pfauhenne im Hühnerstall des Großhändlers.

»Ah, ja! Ich habe sie gesehen! Was macht sie denn da?« fragte ich.

»Ich weiß nicht!« Wowka zuckte mit den Schultern. »Aus irgendeinem Grund geht sie immer zu Papa im ersten Stock… Eine Art von Geschäft… Papa sabbert sich voll!«

Dann streckte er seine Zunge wie ein Hund aus dem Maul und begann damit „Wasser zu lecken“. Ich lachte über Wowkas dummen Blick; die Mädchen, die sich neben ihm durch die Menge gezwängt hatten, starrten ihn an. Wowka errötete sofort, schämte sich und drehte sich mit dem Rücken zur Wand und stapfte verwirrt auf der Stelle.

Der Abend verlief wie üblich – nach reichlich Alkohol machten wir uns auf den Weg zur Tanzfläche. Die Menge dort war bereits heiß, der Ablüftung versagte, und es wurde stickig. Die beiden verspiegelten Wände waren auf halber Höhe beschlagen wie eine Sauna. Die tanzenden Menschen verschmolzen praktisch zu einer hüpfenden und sich windenden Masse, aus der der saure Geruch von abgestandenen Klamotten, Schweiß, billigem Parfüm und Deodorant in Wellen herauswehte. Mit jeder Minute, die verging, wuchs der allgemeine Rausch, die Jungs ließen sich mehr und mehr auf den Tanz mit den Mädchen ein, die sich immer weniger wehrten. Die Mädchen wackelten einladend mit ihren Körpern und fingen die Blicke der Männer mit Genugtuung auf. Die Jungen versuchten, dem Mädchen, das ihnen gefiel, nahe zu kommen, um mit ihr in einem gemeinsamen Rhythmus zu verschmelzen. Wenn es keine Erwiderung gab und eine von ihnen zurückgewiesen wurde, nahmen die Jungs das nächste Mädchen in ihren lüsternen Fokus und gingen auf sie zu. Der Platz des abgelehnten Bewerbers wurde sofort durch den nächsten ersetzt. Ein nicht enden wollendes Karussell von verschwitzten, betrunkenen Gesichtern in einem Taumel von Musik und Stroboskoplicht zog an meinem berauschten Verstand vorbei. Der Tanz der Paare, die sich gebildet hatten, glich immer mehr einer Imitation des Geschlechtsverkehrs. In den Ecken küssten sich Paare heiß. Ich beteiligte mich an einem betrunkenen Karussell der Lust, mit allen anderen: jemandes Brüste, jemandes Schenkel, der geile Arsch, das schreckliche Parfüm, die hübschen Lippen, die rauen Hände, die klebrige Haut der Taille, die rauchige Stimme, die betrunkenen Augen, das hübsche Haar, die kantigen Bewegungen. Ich habe vergeblich versucht, mir Namen zu merken. Wowka war hier irgendwo in der Nähe. Im Laufe des Abends gingen er und ich ein paar Mal nach draußen, um Luft zu schnappen und eine zu rauchen. Es war ein Wirbelwind, Gewühl, endlose Bewegung, die Grotte voller Menschen, Kellnerinnen, die jeden mit heiserer Stimme beschimpften. Diejenige, die mir gefiel, schaute mich an. Das Getränk begann, Druck auf meine Blase auszuüben. Ich ließ Wowka im Torbogen stehen und ging auf die Toilette. Doch schon auf den ersten Stufen der steilen Treppe geriet ich in eine Warteschlange. Nach zwanzig Minuten des Wartens ging ich endlich auf die Toilette – ein Urinal war verstopft und voller Urin, die Sitzkabine war besetzt. Ich erleichterte mich am zweiten und einzigen funktionierenden Urinal. Ich war etwas zittrig, aber ich schien das Urinal nicht zu vermissen, während ich versuchte, wegen des furchtbaren Geruchs in der Toilette nicht zu atmen. Die Putzfrau, ein knarrender alter Buckliger, mit Haaren, die mit billigem Henna gefärbt waren, kam mit einem Lappen auf einem Wischmopp auf die Toilette und begann wütend und fluchend den Boden zu schrubben. Ihr Ungestüm verwirrte selbst die betrunkensten und aggressivsten Jungs. Sie schlüpften murmelnd und eilig ihre Hosen zuknöpfend aus der Toilette. Ich konnte nicht vor einer Frau urinieren, also unterbrach ich den Vorgang eilig auf halbem Wege, tat so, als wäre ich fertig, und machte mich auf den Weg zum Waschbecken, das mit Wasser und zerknülltem Toilettenpapier gefüllt war. Nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte, trat ich auf die Treppe hinaus. Um nicht zu stürzen, konzentrierte ich mich darauf, das Geländer zu ergreifen und hinunterklettern, fand Wowka, nickte ihm zu, und wir eilten wieder an die frische Luft.

Fünf doppelte „Schraubendreher“ und eine halbe Packung Zigaretten – ich war betrunken. Wowka schien auch so zu sein. Die Zeit verging wie im Flug, und die Leute begannen sich zu zerstreuen. Wir setzten uns vor die Verglasung des Eingangs und stützten unsere Hintern auf das Metallvordach. Am Ende der Gasse blitzten unsichere, halb betrunkene Schatten auf, einer oder zwei auf einmal, die sich erleichterten oder küssten. Die schwere Eingangstür schlug regelmäßig zu und entließ die lärmende Menge aus dem Club. Einige gingen fröhlich, andere wanderten ziellos und betrunken davon und verschwanden in der Nacht, während andere, wie wir, nach draußen gingen, um Luft zu schnappen und zu rauchen. Es herrschte ein betrunkenes Getümmel, und die Luft war mit Adrenalin gesättigt. Wir gingen zurück in den Club.

Es war drei Uhr morgens. Die Musik verstummte, die Stille fiel sofort auf meine Ohren und wurde bedrückend. Wowka und ich verabschiedeten uns von allen, die wir sahen, und verließen schließlich den Club. Ich liebe die nächtliche Stadt. Vor allem, wenn es warm ist. Man kann einen gemütlichen Spaziergang machen und sich unterhalten. Besonders, wenn man betrunken ist, gibt es viel zu besprechen. Ich sah Wowka an, er schwankte. Ich nahm mein Handy heraus, rief Edik an und sagte ihm, dass wir gleich da wären.

»Und die Kellnerin hat dich angestarrt!« sagte Wowka plötzlich.

»Na ja, ich glaube, sie schaute mich an… Sie scheint nett zu sein…« Ich nickte mit gespielter Gleichgültigkeit.

»Ja, und ihre Augen und Lippen!« Wowkas Gesicht war voller Zufriedenheit.

»Komm schon, sie ist ein normales Mädchen!« Ich habe sie reflexartig verteidigt.

»Will ich damit sagen, dass sie nicht normal ist oder was?! Sie ist nicht hässlich, sie ist ein normales, hübsches Mädchen!«

»Das ist doch was ich sage, sie ist normal! Ich mag sie…«, gestand ich absichtlich, in der Hoffnung, das Interesse meines Freundes mit wenig zu befriedigen und es gleichzeitig zu löschen, aber das Gegenteil kam heraus.

»Dann lerne sie doch kennen! Du kommst rüber, bla, bla, bla, darf ich mich vorstellen, Madame! Ich bin ein Bonze, ich hab’ viel Kohle, ich will Sie!« rief Wowka aus und zeigte damit seine Fähigkeit, alles zu pervertieren.

Ich schnaubte und klopfte ihm auf die Schulter. Wowka spielte mit, wackelte als ob er watteartig wäre, kritzelte mit den Füßen eine Schleife auf das Pflaster und ging mit einem zufriedenen Grinsen wieder neben mir her.

»Warum die Eile, sie geht doch nirgendwohin, wir sehen sie doch jeden Tag…«, sagte ich, aber der Gedanke setzte sich in meinem Kopf fest und ich begann darüber nachzudenken.

»Sie arbeiten wochenweise, gib acht, heute ist Freitag, also geht es noch zwei Tage weiter. Sonst vergeigst du dein Glück!« Wowka rieb es mir eindringlich unter die Nase.

»Wir lernen uns also in einer Woche kennen…«, tat ich weiterhin so, als wäre es mir egal.

»Kennst du überhaupt ihren Namen?« Wowka dauerte an.

»Nein. Ich werde es später herausfinden.«

»Oh, Mann! Pass mal auf! Sonst wird sie ausgespannt!« neckte mich mein Freund wieder.

»Sie hat mich angeschaut… niemand würde sie ausspannen…«, parierte ich lächelnd.

»Sie hat ja auch einen schönen Hintern!«

»Du hast schon alles gesehen!«

»Na und? Ich mag es, wenn ein Mädchen alles hat.«

»Wer nicht? Also, bleibe ich heute bei dir?« Ich habe das Thema gewechselt.

»Scheiße, Ramses, natürlich!« Wowka zuckte mit den Schultern, nahm die Hände aus den Taschen und spreizte sie. »Das ist mir egal, die rote Couch wartet auf dich!«

Wir bogen um die Ecke, und am Bordstein stand eine Reihe von Autos. Ediks „Sieben“ war mittendrin, mit ihren brennenden „Düsen“. Wowka und ich öffneten die Autotüren und stiegen geräuschvoll in den Innenraum ein. Edik saß hinter dem Steuer und hantierte mit dem „Armaturenbrett“ herum. Er warf uns einen melancholischen Blick zu und ging sofort wieder an seine Arbeit.

»Na, genug getanzt?« lächelte Edik.

»Jaaa!!!« Wowka brüllte vom Rücksitz, keuchte laut und grunzte.

»Scheiße, wir sind besoffen!« gestand ich und setzte mich nach vorne.

»Na ja, das versteht sich von selbst…«, resümierte Edik philosophisch, hörte auf, unter dem Lenkrad zu wühlen, starrte mich mit unverwandten Augen an, lächelte. »Fahren wir?«

Ich nickte und verzog mein Gesicht zu einem albernen, betrunkenen, zufriedenen Lächeln.

»Und dreht die verdammte Musik lauter!!!« brüllte betrunkener Wowka von hinten, fast in mein Ohr.

Edik steckte seine Finger in die Stereoanlage, drehte den Schlüssel im Zündschloss, die ersten melodiösen Noten des Liedes erfüllten den Innenraum, die Motordrehzahl dröhnte, der perkussive Klang kam aus den Lautsprechern wie ein Vorschlaghammer auf meine Ohren:

 

Getadelt wird wer Schmerzen kennt

Vom Feuer das die Haut verbrennt

Ich werf ein Licht

In mein Gesicht

Ein heisser Schrei

Feuer frei!

Das Auto fuhr los und raste durch die leeren Straßen.

 

Bang! Bang!

 

»Nur nicht kotzen…«, dachte ich und packte den Griff der Tür nur fester. Wir sind gerast und haben die Kurven scharf genommen. Ich habe mir keine Sorgen um die Sicherheit gemacht, sondern um meinen Magen – mir war ein wenig übel.

Wowka wohnte in einem halbkriminellen Arbeiterviertel, das mit schäbigen vier-, drei- und zweistöckigen „Chruschtschowka“-Häusern aus Backstein übersät war. Er mietete eine beengte Eckwohnung im letzten vierten Stock eines dieser Häuser.

Edik hielt an der Bushaltestelle an und wir waren da. Ich war froh, dass es Samstag war und ich die letzte Woche bei Wowka schlafen konnte, zumindest bis zum Mittag. Mir war immer noch schwindelig, also öffnete ich die Tür und atmete frische Luft ein. Wowka kletterte grunzend und fluchend vom Rücksitz. Nachdem er das Geld erhalten hatte, fuhr Edik davon und ließ uns schließlich in der Stille der Nacht. Wir sind tief in die schlafenden Höfe hineingegangen, zweihundert Meter in gerader Linie zu Wowkas Haus.

Im Innenhof war es fast stockdunkel, keine einzige Straßenlaterne leuchtete. Über der Metalltür fehlte ein Baldachin, und von der Glühbirne war nur noch eine hohle Stange in der Wand darüber übrig. Wir gingen hinein. Im Erdgeschoss brannte eine Glühbirne schwach, und es roch nach Feuchtigkeit. Die alten Eingänge haben immer gestunken. In diesen „Chruschtschowka“-Häusern war alles schlecht: kleine Bodenflächen, schmale und schräge Treppen, unterschiedlich hohe und tiefe Stufen und beengte Wohnungen.

Wir taumelten nach oben. Wir waren beide kurzatmig, und das fast sofort. Mein Herz pochte in meinen Ohren. Ich keuchte schwer und hielt mich am Geländer fest. Der Alkohol in meinem Blut machte es mir schwer, gerade zu gehen. Wowka schnaubte geräuschvoll hinter mir. Beide stampften laut auf.

Endlich waren wir da. Ich wollte so gerne schlafen. Ich zog mich schnell bis auf die Unterwäsche aus, ging auf die Toilette und taumelte in die Küche – ich wollte einen Tee trinken. Ich nahm eine Zigarette, setzte mich auf einen alten Holzstuhl mit quietschender und klappriger Lehne und zündete sie an. Wowka kam in Tarn-Unterhose herein, sah sich in der Küche um, kratzte sich betrunken am haarigen Bauch und zündete sich ebenfalls an. Wir saßen uns gegenüber und warteten darauf, dass der Kessel kochte.

»Willst du etwas Käse?« lachte Wowka geräuschlos.

»Du gehst mir auf den Sack mit deinem Käse!« Ich lachte auch.

»Was denn? Es gibt viel Käse!« Wowka fuhr fort und öffnete den Kühlschrank. Der war voll mit Käse. Mehrere große runde Laibe nahmen fast den gesamten Raum ein. Ich habe wieder gelacht.

»Ich meine, wir müssen den essen, sonst wird er verschwendet!« fügte er hinzu, als ob er sich entschuldigen wollte.

»Warum hast du so viel davon mitgebracht? Du hättest ein paar nehmen sollen…«

»Das ist doch Trittbrettfahrt! Wie könnte ich nicht!?« Wowka kratzte sich verwundert am Hinterkopf. »Sie hätten ihn sowieso weggeworfen, er war abgeschrieben, ich hätte ihn nehmen sollen. Und der Käse ist auch gut: „Dorblu“, „Parmesan“. Es ist nicht unsere billige Scheiße. Ja, ich hätte ihn nehmen sollen.«

Ich kicherte weiter. Der Wasserkocher kochte, als er den Schalter umlegte.

»Jetzt musst du den ganzen Tag lang Käse kauen!«

»Scheiße, Ramses, ich esse ihn ständig, ich kann ihn nicht mehr ertragen! Total abgefuckt!« Wowka lachte, goss den Tee in Tassen, schüttete in beide einen Teebeutel und reichte mir eine. Wir nippten an unserem Tee und nahmen einen Schluck von unseren Zigaretten.

»Lass uns das zu Ende bringen und schlafen gehen…«, murmelte ich. »Ich kann nicht mehr, mir fallen die Augen zu…«

 

»Na ja… die verdammte rote Couch wartet auf dich! Hee, hee, hee!« Wowka hat wieder gelacht.

»Scheiße, keine Gastfreundschaft… Du kannst dich nicht einfach auf die Couch legen und mir deinen Flugplatz als Gast überlassen…«, lachte ich gutmütig. »Es ist ein Wanzennest, kein Sofa.«

»Nun, es gibt kein anderes. Was ich hab, geb ich gern.«

Nachdem wir unsere Zigaretten geraucht und unseren Tee getrunken hatten, gingen wir zu Bett. Ich legte mich auf das alte Sofa, das unter mir knarrte. Meine Rippen drückten sich durch den Stoff in die krumme Feder, und ich fing an, an sie zu denken, aber das Schnarchen aus Wowkas Bett schnallte mich sofort ab.

 

»Hast du „Citramon“?« sagte ich am Morgen, ohne die Augen zu öffnen.

Wowka war bereits in der Küche und klapperte mit dem Geschirr. Ich schlug die Augen auf und sah mich um.

»Tut dir der Kopf weh?!« kam als Antwort aus der Küche.

»Ja, zerspringt furchtbar… Wie spät ist es?«

»Schon halb elf!« Wowka bellte in militärischer Manier. »Steh auf, komm schon!«

Die Sonne flutete den Raum mit Licht und einhüllender Wärme durch die Fenster. Ich stand auf, die Strahlen auf dem Teppich wärmten meine Füße. Ich nahm eine Tablette und ging ins Bad und von dort in die Küche, wo Wowka bereits Tee trank und belegte Brote aß, wie immer.

»Käse?« fragte ich schläfrig, versuchte einen Scherz zu machen.

Wowka nickte zustimmend, murmelte unverständlich und lächelte mit vollem Mund.

»Wir werden ihn ein Jahr lang essen. Soll ich etwas mit nach Hause nehmen?« sagte ich.

Wowka nickte lebendig und griff sofort in den Kühlschrank.

»Nö, nö, nö! Das war nur ein Scherz!« Ich winkte ab.

Wowka wurde sofort traurig, hörte auf zu kauen und rollte den Käselaib wieder ein.

Ein freier Tag. Es ist Frühling draußen. Es bestand keine Eile. Wir saßen beide in unserer Unterwäsche und tranken Tee. Die Kopfschmerzen hatten merklich nachgelassen, und ich hatte überhaupt keine Lust, nach Hause zu gehen.

»Wie geht es deinem Vater?« fragte Wowka plötzlich. »Schimpft er immer noch mit dir?«

»Es geht, wir streiten uns nur regelmäßig«, winkte ich ihn leicht ab. »Er geht mir auf die Eier. Er verarscht mich immer wegen diesem und jenem Scheiß. Ich kann nicht mehr mit ihm arbeiten, ich bin erschöpft. Ich wünschte, ich könnte woanders hingehen, aber ich kann das alles nicht aufgeben. Es ist gut, dass wir den Einzelhandel geschlossen haben. Habe ich dir schon gesagt, dass wir den Einzelhandel geschlossen haben?«

»Na ja, so etwas hast du gesagt«, warf Wowka, schmatzend. »Habt ihr den total geschlossen? Wo werdet ihr die Waren lagern?«

»Ich weiß nicht, wir haben den Kiosk erst gestern verkauft«, sagte ich achselzuckend und erzählte die Geschichte des Verkaufs, woraufhin Wowka ein zufriedenes Lachen ausstieß.

Tee ist eine gute Sache! Früher habe ich ihn immer nach zu viel Alkohol und Zigaretten getrunken. Und während ich damals süßen Tee trank, kam ich allmählich zur Besinnung.

»Scheiße!!! Wie spät ist es?!!« hätte ich plötzlich fast geschrien.

Wowka starrte mich überrascht an, drehte sich um und schaute über die Schulter auf die Uhr am Gaskessel: »Halb zwölf, warum?«

»Verdammt, das habe ich vergessen!« Ich bin aufgesprungen und habe mich dann hingesetzt. »Wir müssen heute bis drei Uhr bei „Sascha“ sein! „Sascha“ macht dicht! Wir müssen die Waren abholen und sie bezahlen!«

»„Sascha“ macht dicht!?« Wowka war noch mehr überrascht. »Warum denn?«

Ich kaute auf meinem Brot herum und trank gierig meinen Tee, während ich gleichzeitig Wowkas Fragen beantwortete. Als ich mit meinem belegten Brot fertig war, eilte ich ins Zimmer. Ich zog meine Jeans, T-Shirt und Sweatshirt an, schnappte mir mein Handy und wählte die Nummer aus dem Gedächtnis.

»Seltsam, warum wird „Sascha“ dichtgemacht?!« kam aus der Küche, als der Anruf beendet wurde.

»Ja, ich war selbst überrascht, eine normale Firma, lange gearbeitet, und dann paff!!« sagte ich, ging zurück in die Küche, trank meinen Tee in ein paar Schlucken aus und fügte hinzu: »Das war’s, ich bin weg! Gehen wir heute Abend aus?«

»Verdammt, Ramses, da frägst du noch!«

»Gut, ich rufe dich an, wenn ich fertig bin, tschüss!«

Ich schlüpfte mit den Füßen in meine Schuhe und lief aus der Tür heraus.

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